Versöhnen, nicht spalten

Die Erinnerungskultur braucht eine europäische Perspektive und keine Nationalisierung des Gedenkens

Von Detlef Garbe

Im Vorfeld des Bundestagsbeschlusses vom 25. Juni 1999 zur Errichtung des „Holocaust-Mahnmals“ hatten sich Abgeordnete der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP darauf verständigt, das Denkmal allein den ermordeten Juden zu widmen. Mit dieser Festlegung setzte sich die nach 20-jähriger gesellschaftlicher Debatte errungene Erkenntnis durch, dass es sich bei der Shoah um ein in seiner Monstrosität und Ungeheuerlichkeit singuläres Verbrechen gehandelt hat. Es habe sich mithin um ein, wie auch im zuvor geführten „Historikerstreit“ der 1990er-Jahre betont worden sei, unvergleichliches Menschheitsverbrechen gehandelt. Die deutsche Schuld an diesem staatlich organisierten und arbeitsteilig ausgeführten Genozid, am millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden, könne und dürfe nicht durch Verweise auf andere Völkermordverbrechen relativiert werden. Hieran wollten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier keinen Zweifel aufkommen lassen. Das von dem Förderkreis um Lea Rosh und Eberhard Jäckel geforderte Mahnmal sollte im Zentrum von Berlin, seit 1999 Sitz von Parlament und Regierung des vereinten Deutschland, ein unmissverständliches und unübersehbares Zeichen des Eingeständnisses der Schuld des nationalsozialistischen Deutschland für den Holocaust sein, ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Anders als 1996 bei der Proklamation des 27. Januar als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ durch Bundespräsident Roman Herzog, der hierbei eine Initiative von Ignatz Bubis, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, aufgriff, war mit dem „Holocaust-Mahnmal“ kein alle Opfergruppen einschließender Ansatz gewählt. Um den Vorbehalten gegenüber dem exkludierenden Charakter des Mahnmals zu begegnen, legte schon der Beschluss des Bundestags zur Denkmalserrichtung fest, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet bleibe, auch der anderen Opfer des Nationalsozialismus würdig zu gedenken. Dieser Gedanke fand entsprechend auch Eingang in das Gesetz zur Errichtung der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ vom 17. März 2000, das den Stiftungszweck des Baus und Betriebs des Denkmals im § 2 Absatz 3 erweiterte: „Die Stiftung trägt dazu bei, die Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus und ihre Würdigung in geeigneter Weise sicherzustellen.“

Auch wenn damit keineswegs der Weg zu Denkmalen für andere Opfergruppen vorgezeichnet war, entstanden nach und nach unter dem Dach der Stiftung weitere durch den Bundestag beschlossene zentrale Erinnerungszeichen, gewissermaßen nationalstaatliche Monumente eines je gesonderten Opfergedenkens. In der Bundestagsdebatte vom 25. Juni 1999 hatte Norbert Lammert, der spätere Bundestagspräsident und damalige kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, vergeblich dafür gestritten, das Mahnmal den ermordeten Juden Europas und allen Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen zu widmen. Mit einer solchen Weitung der Widmung für das zentrale Mahnmal könnte vermieden werden, so führte Lammert aus, dass die Entscheidung „der Beginn einer Serie von Folgeentscheidungen für die Errichtung weiterer Denkmäler für andere Opfergruppen und damit verbundenen unvermeidlichen Auseinandersetzungen über Ort, Größe und Gestaltung“ werde (Plenarprotokoll 14/48, 4089).

Zu solchen Auseinandersetzungen ist es auch dank des umsichtigen Agierens der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in der Kommunikation mit den verschiedenen Opferverbänden nicht oder nur am Rande gekommen. Wirkmächtig waren sie jedenfalls nicht. Nach der Einweihung des von Peter Eisenman konzipierten Stelenfelds mit dem Ort der Information auf einer fast 20.000 qm großen Fläche der ehemaligen Ministergärten südlich des Brandenburger Tores im Mai 2005 folgten – dem Gewicht der jeweiligen politischen Unterstützung entsprechend – Bundestagsbeschlüsse zur Errichtung weiterer Denkmäler für nichtjüdische Opfergruppen. Zunächst entstand auf der dem Stelenfeld gegenüberliegenden Seite an der Ebertstraße 2008 das „Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“. 2012 folgte südlich des Reichstags im Tiergarten das „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“. 2014 wurde am historischen Ort der Zentrale für die „T4-Aktion“, der Tiergartenstraße 4, in Nachbarschaft der Philharmonie der „Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Morde“ eingeweiht.

Schon die Denkmalsetzungen für die ermordeten Juden Europas und für die ermordeten Sinti und Roma sind so angelegt, dass Orte der Information bzw. Ausstellungsbereiche das jeweilige Denkmal ergänzen. Der Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde ist in sich schon ein Hybrid aus Denkmal und Ausstellung. Noch deutlicher fiel der Schwerpunkt in Richtung Information bei einer weiteren Opfergruppe aus, deren Verfolgungsschicksal durch die Stiftung Denkmal bundesseitig eine Würdigung erfuhr. Die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz sprach sich für die Entwicklung einer Wanderausstellung aus, die anstelle eines statischen Denkmals in anderer Weise der 30.000 Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“ gedenkt, die nach Todesurteilen der Wehrmachtjustiz hingerichtet wurden. Die 2007 in Berlin eröffnete Ausstellung „Was damals Recht war … – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“ wurde seither in 50 Städten gezeigt, dabei oft um lokale Besonderheiten und teilweise umfassende Begleitprogramme ergänzt. In Österreich trug die Ausstellung zur Aufhebung der Urteile und zur Anerkennung der Deserteure bei, in Luxemburg entfachte sie eine Debatte über die nach der Angliederung an das Reich zwangsweise in die Wehrmacht rekrutierten Soldaten. Im Februar 2020 hat der Bundestag beschlossen, auch zur Geschichte der von den Nationalsozialisten als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgten eine modulare Ausstellung erarbeiten zu lassen, „die historische Information und gedenkendes Erinnern verbindet“ (Drucksache 19/14342).

Gedenkorte für weitere größere – wie die Opfer der NS-Lebensraumpolitik – oder kleinere Opfergruppen – wie die Zeugen Jehovas – befinden sich in der Diskussion. Seit Langem werden auch Forderungen nach einem Mahnmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus erhoben. So erklärte der hoch angesehene Auschwitz-Überlebende und ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski am Tag nach der Einweihung des Denkmals für den NS-Völkermord an Sinti und Roma, dass nun auch ein Mahnmal in der deutschen Hauptstadt folgen müsse, das an die von Deutschen gegenüber den Polen geführte Vernichtungspolitik erinnere (Die Welt, 25.10.2012). Fünf Jahre später, im November 2017, forderte eine von dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Bauwesen Florian Mausbach angeführte Initiative mit Unterstützung prominenter Befürworter wie Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse die Errichtung eines Denkmals zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945. Als Standort für das Denkmal wurde der Askanische Platz direkt gegenüber dem künftigen Dokumentationszentrum der vom Bund eingerichteten „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ vorgeschlagen. Zwei Jahre später, zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, berichtete die Presse, dass inzwischen 240 Abgeordnete aus allen Fraktionen im Bundestag (mit Ausnahme der AfD) den Aufruf unterstützen, ein Mahnmal für die polnischen NS-Opfer zu errichten. Die Süddeutsche Zeitung zitierte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der zu den Unterzeichnern gehört, mit den Worten: „Ein solches Denkmal wird dazu anregen, sich stärker mit dem polnischen Leid unter deutscher Besatzung und dem NS-Terror zu beschäftigen“ (SZ, 26.8.2017).

Hätten zu Beginn des Jahres 2020 nicht die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Vorbereitungen für die Veranstaltungen zum 75. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft überlagert, so wäre es nicht unwahrscheinlich gewesen, dass der Bundestag einem entsprechenden Antrag zur Errichtung eines „Polen-Denkmals“ gefolgt wäre. Nun aber wird erst einmal im Kulturausschuss beraten und dabei das Für und Wider abgewogen. Und dies ist sicher der bessere Weg, als unter dem Eindruck anstehender Jahrestage einen Beschluss zu fassen, der geschichtspolitisch eine Reihe von weiteren Denkmalsprojekten nach sich ziehen dürfte. Zwar wäre die Entscheidung für ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer der deutschen Besatzung 1939 bis 1945 für unsere polnischen Nachbarn ein Zeichen, dass die langjährige Ignoranz großer Teile der deutschen Bevölkerung und auch der Politik gegenüber der besonderen Leidensgeschichte Polens nunmehr ihr Ende finden soll. Tatsächlich dürfte eine solche Entscheidung vor dem Hintergrund eines in den zurückliegenden Jahren zunehmend angespannten polnisch-deutschen Verhältnisses und der Bedeutung Polens für die angeschlagene Europäische Union aber vor allem außenpolitisch motiviert sein.

Von den Befürwortern eines Polen-Denkmals wird darauf hingewiesen, dass die brutale Besatzungspolitik, die bereits kurz nach dem Überfall mit Massenerschießungen begann, deren Ziel die Versklavung der polnischen Bevölkerung war und die in der über fünfjährigen Besatzung annähernd sechs Millionen Opfer (einschließlich der polnischen Jüdinnen und Juden) forderte, in Deutschland bis heute viel zu wenig bekannt ist. Dies ist gewiss richtig und beklagenswert. Historisch-politische Aufklärung geschieht aber nicht durch Denkmäler. Sie sind Orte des Bekennens, nicht des Erkennens. Sie setzen Wissen um die Geschichte voraus.

Die deutsche Besatzung traf Polen besonders erbarmungslos. Aber eine lange brutale Besatzungszeit kannte auch die Tschechoslowakei, Massenerschießungen fanden auch in den baltischen Staaten, in Russland, in Belarus und der Ukraine statt, grausame Massaker gehörten im Westen und insbesondere im Südosten Europas zum Instrumentarium der deutschen Herrschaft. Schon melden sich Stimmen aus der Ukraine und Belarus, die Denkmäler für die Opfer aus diesen Ländern fordern, deren Blutzoll kaum geringer als der polnische war. Die bissige Vision von Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen, der Ende der 1990er-Jahre eine „Gedenkmeile“ im Tiergarten heraufziehen sah, könnte nun also durch unterschiedliche nationale Erinnerungszeichen Wirklichkeit werden.

Sicherlich haben Denkmäler wichtige Wirkungen, doch beschränken sie sich im Wesentlichen auf den politischen Prozess ihrer Durchsetzung und ihren Manifestationswert, später dann auf das rituelle Gedenken, vornehmlich im Rahmen von Veranstaltungen und zu offiziellen Anlässen. Das persönliche Trauern sucht hingegen den konkreten Ort, an dem die Eltern, Groß- oder Urgroßeltern gelitten haben oder zu Tode kamen. Hierfür dienen Grabstätten und Gedenkstätten besser als hauptstädtische Denkmäler.

Gerade die Erfahrungen in den Gedenkstätten zeigen, dass Denkmäler zwar wichtig sind, das affektive wie das kognitive Lernen aber durch die Begegnung mit den historischen Spuren, in Ausstellungen und insbesondere in der Annäherung an Biografien erreicht wird. Auch die Gedenkstätten verfügen in der Regel über eine Vielzahl von kleinen Denkmalen, die einzelnen Opfergruppen und Häftlingsnationen gewidmet sind. Sicherlich spielen diese für die aus den jeweiligen Staaten anreisenden Besucherinnen und Besucher eine Rolle, sie suchen sie in der Regel auf. Zu berücksichtigen ist hierbei aber, dass in den KZ-Gedenkstätten zentrale, allen Opfern gemeinsam gewidmete Mahnmale errichtet worden sind. Ihre Entstehung ist vor allem dem Engagement der internationalen Lagerkomitees zu verdanken. Die zentralen Mahnmale grenzen die Gefahr der Segregation des Gedenkens ein. Die einzelne Gruppe, die jeweilige Nation wird als Teil eines gemeinsamen Opferkollektivs wahrgenommen. In der Regel legen ausländische Besucherinnen und Besucher deshalb zweimal Blumen nieder, am Stein oder Denkmal für die jeweilige Nation und am internationalen Mahnmal.

Es kommt deshalb wesentlich darauf an, im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus das Verbindende und die Kontexte herauszustellen, zum Beispiel die gemeinsame Erfahrung, Opfer eines rassistisch geprägten Eroberungs- und Raubkriegs und einer durch die nationalsozialistische Herrenmenschenideologie bestimmten Besatzungsherrschaft geworden zu sein. Gewiss unterschieden sich die jeweiligen Verhältnisse, machte es beispielsweise einen gewichtigen Unterschied, inwieweit es der Besatzungsverwaltung gelang, sich auf Verbündete und Kollaborateure stützen zu können. Überhaupt waren die Strukturen der Besatzung mannigfaltig. Es gab keinen Masterplan, vieles war situativ, je nach Land, selbst nach Region und Stadt unterschiedlich. So wie letztlich jedes einzelne Opferschicksal besonders war. Erst in der Gesamtschau fügen sich die individuellen Bilder und die regionalen Spezifika zu einem Ganzen. Für die Betrachtung der deutschen Besatzungsherrschaft und ihrer Opfer ist die gesamteuropäische Perspektive deshalb unverzichtbar.

Der nunmehr vom Deutschen Polen-Institut und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas gemeinsam eingebrachte Vorschlag, Formen des symbolischen Gedenkens mit einem Dokumentations- und Bildungszentrum zu verbinden, weist in die richtige Richtung. Ein Denkmal, das den Überfall auf Polen als Beginn des Zweiten Weltkriegs (zumindest auf dem europäischen Kriegsschauplatz) zum Ausgangspunkt hat, dann aber durch mehrsprachige Widmungen in den Sprachen der besetzten Länder auch eigene Annäherungen an ein Denkmal ermöglicht, wäre ein gemeinsames Erinnerungszeichen mit vielfältigen Zugängen. Auch ein Dokumentationszentrum mit einer mehrsprachigen Ausstellung, die in ihren übergreifenden Teilen die historischen Kontexte herausstellt und in deren Zentrum ähnlich strukturierte Länderkapitel stehen, die idealerweise in Kooperation mit Forschungseinrichtungen oder Museen aus den jeweiligen Staaten entwickelt werden, könnte trotz oder sogar wegen der gebotenen Differenzierungen die Verbindungslinien ziehen, anstatt nationalstaatliche Abgrenzungen zu befördern. Die Ergänzung um eine Bildungsstätte mit berufsbezogenen internationalen Begegnungsprogrammen würde Voraussetzungen dafür schaffen, die Erfahrungen des in weiten Teilen durch Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus, durch Krieg und Unterwerfung bestimmten 20. Jahrhunderts für das historische Lernen im 21. Jahrhundert nutzbar zu machen und gemeinsame europäische Perspektiven zu entwickeln.

Die Begrenzung auf ein alleiniges „Denkmal für die polnische Opfer“ dürfte hingegen die geschichtspolitischen Deutungskämpfe und die ohnehin starken Tendenzen zur Renationalisierung des Gedenkens noch weiter stärken. Es ist zudem abzusehen, dass weitere Denkmale für nationale Opfergruppen folgen werden. Der Anspruch auf ein Denkmal im Zentrum Berlins für die acht Millionen ukrainischen NS-Opfer (einschließlich der ukrainischen Jüdinnen und Juden) ist bereits angemeldet worden; Botschafter Andrij Melnyk erklärte dazu am 8. Mai 2020: „Von nun an werden wir nicht mehr bitten, sondern fordern, dass diese ukrainischen Opfer des deutschen Versklavungskrieges endlich würdig geehrt werden“ (Deutschlandfunk, 8.5.2020).

Die oft gerühmte bundesdeutsche Erinnerungskultur darf eine „Renationalisierung“ der Geschichtsbilder und Opferkonkurrenzen nicht befördern. Sie muss der Aufklärung verpflichtet bleiben, sie muss versöhnen, nicht spalten. Und der Maxime folgen, dass allen Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen unser Gedenken gilt. Das sind die Deutschen von heute den Opfern der damaligen Deutschen schuldig.

Prof. Dr. Detlef Garbe ist Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen und war zuvor Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Denkmal und Dokumentation: Erinnern durch Wissen

Von Winfried Nerdinger

Denkmäler sind Zeugnisse für das, was in einer bestimmten Zeit als wichtig galt erinnert zu werden, und sie sind ein Spiegel für die jeweiligen Vorstellungen, wie Erinnerung gestaltet werden kann und soll. Das größte und am meisten diskutierte Denkmal, das in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende in Deutschland entstand, war die von Konrad Adenauer angeregte „Friedland-Gedächtnisstätte“, die durch den „Verband der Heimkehrer“, der 1955 über 500.000 Mitglieder zählte, am Grenzdurchgangslager Friedland 1967 errichtet wurde. Die 28 Meter hohe vierteilige Betonskulptur diente zur Erinnerung an die „Heimkehr der Kriegsgefangenen und Zivilverschleppten als auch an die Aufnahme der Vertriebenen und Aussiedler“ und sollte – an der Grenze zur DDR auf einem Hügel platziert – das „Tor zur Freiheit“ signalisieren. Das Denkmal steht somit für Kriegsfolgethemen: Heimkehrer, Vertriebene und Teilung des Landes, und es ist ein Monument für Adenauers Rückführung der deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion. Die Ursachen für diese Themen, die Zeit des Nationalsozialismus und die damit verbundenen Verbrechen, wurden nicht benannt. Die erklärenden Tafeln an den Betonwänden mit Zahlen bezüglich der Heimkehrer und Flüchtlinge lesen sich heute wie eine Demonstration der im Denkmal geradezu manifesten Verdrängungen der frühen Nachkriegszeit. Da Denkmäler immer einen retrospektiven Charakter haben, können sie auch als zeitspezifische Erfindungen von Geschichte betrachtet werden, und deshalb bedürfen sie einer Ergänzung durch historische Dokumentation.

Das erste Erinnerungszeichen an die NS-Zeit, das in München, der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“, im öffentlichen Raum aufgestellt wurde, war im August 1945 ein Straßenschild mit der Bezeichnung „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“. Dieses Schild stand 20 Jahre lang ohne weitere Erklärung an der Brienner Straße. Historische Bezugspunkte waren das daneben befindliche Schillerdenkmal, dem „Dichter der Freiheit“ gewidmet, wie Oberbürgermeister Karl Scharnagl, der die Aufstellung anordnete, vage bemerkte, sowie eine Blickbeziehung über die Brienner Straße hinweg zum etwa 100 Meter entfernten Wittelsbacher Palais, der ehemaligen Gestapozentrale. Die pauschale Widmung an „die Opfer“ kennzeichnet die nach Kriegsende allgemein akzeptierte Formel der Selbstviktimisierung: Opfer des Nationalsozialismus waren „die Deutschen“, jeder und niemand waren angesprochen. Nach 20 Jahren wurde das Straßenschild 1965 von Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel durch einen Granitfindling ersetzt, der sich nun auf einer Verkehrsinsel befand. Die Inschrift blieb gleich, am Bewusstseinsstand hatte sich noch nicht viel geändert. Wie in München entstanden in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende überall in Deutschland ähnlich belanglose, buchstäblich nichtssagende Denkmäler mit ähnlichen Inschriften. Beachtung fanden sie wenig, sie dienten zumeist als obligate „Kranzabwurfstelle“ für Politiker. Das Münchner Denkmal wie auch die anderen vergleichbaren Monumente boten trotz der öffentlichen Dimension keine historischen Anknüpfungspunkte, es entstand keine „dialogische Qualität des Gedächtnisraums“ (Andreas Huyssen), denn es wurde nichts zu einem Dialog angeboten, sie blieben stumm – und genau das war wohl auch gewollt.

Am Ort der wirklichen Opfer, dem KZ-Friedhof Dachau-Leitenberg, sollte auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung im Sommer 1945 ein Denkmal errichtet werden. Beauftragt wurde ausgerechnet Georg W. Buchner, einer der Mitgestalter der Münchner NS-Festzüge. Als dies bekannt wurde, sollte Karl Knappe, der in der NS-Zeit seine Position an der Hochschule verloren hatte, das Denkmal planen, aber sein Entwurf mutete derart nach NS-Geist an, dass auch er nicht zur Ausführung kam. Auf dem Friedhof fand dann 1949 ein Davidstern Aufstellung, während das Lager, der eigentliche Ort des Leidens, ab 1948 als „Wohnsiedlung Dachau-Ost“ für Vertriebene verwendet wurde. Anfang der 1960er-Jahre riss man die Baracken komplett ab, und 1965 entstand auf Initiative der Lagergemeinschaft eine Gedenkstätte mit Ausstellung, vor der 1967 das Denkmal des serbischen Künstlers Nandor Glid platziert wurde. Die authentischen Orte des Leidens verschwanden, und dafür sollte ein Kunstwerk emotionalen Ersatz bieten. Die Errichtung des Dachauer Denkmals, im gleichen Jahr, als die Friedland-Gedächtnisstätte eingeweiht wurde, signalisiert einen Wandel in der Erinnerungskultur. Das Leid der Opfer wurde nach den Einsatzgruppen- und Auschwitz-Prozessen endlich in den Blick genommen, aber das Denkmal von Nandor Glid steht auch stellvertretend für eine Flut weiterer ähnlich figurativ-abstrahierter Gestaltungen, die Stacheldraht, Gitter, zerbrochene Materialien und abgemagerte Körper als Angebote für Assoziationen der Betrachter präsentierten.

Es zeichnete sich damit das ab, was Henry Moore, der Juryvorsitzende beim Wettbewerb für ein Auschwitz-Denkmal, bereits 1957 geäußert hatte: dass nur ein Bildhauer vom Format eines Michelangelo oder Rodin der Aufgabe gewachsen wäre, einem Verbrechen „von einer derart ungeheuren Größenordnung“ ein angemessenes Format zu geben. Auch wenn es Pablo Picasso und Ossip Zadkine gelang, die Zerstörung von Guerníca und Rotterdam kongenial figürlich zu erfassen, und auch wenn Alfred Hrdlicka mit seinem Hamburger „Gegendenkmal“ ergreifende Skulpturen schuf, so werden doch letztlich bei allen Themen, die mit den Gräueltaten und Verbrechen während des NS-Zeit verbunden sind, die Grenzen des Darstellbaren erreicht. Angesichts der Dimension des Leids, auf das hingewiesen werden soll, wirkt die abstrakte Hilflosigkeit vieler Denkmäler vielfach nur verharmlosend und damit kontraproduktiv. Die beim Betrachter erweckten Emotionen bleiben selbstbezogen, gerade deshalb ist auch eine Information über die Fakten erforderlich.

Wenn im Land der Täter an die Verbrechen der NS-Zeit erinnert werden soll, dann gilt als oberste Maxime, zu unterscheiden zwischen einem empathischen Gedenken und „Eingedenken“ (Walter Benjamin) der Opfer und einem von kritischer Reflexion geleiteten Erinnern an die Täter. Nur wenn diese Erinnerung auf Fakten basiert, kann sie zu einer rationalen Auseinandersetzung mit den Tätern und zur Erkenntnis der Ursachen für deren Taten führen. Diesem Ansatz stehen Emotionalisierung und Inszenierung diametral entgegen, denn damit wird die Geschichte instrumentalisiert und für Interessen in Dienst genommen. Inszenierungen sind immer interessengeleitete zeitspezifische Deutungen und zielen darauf, historische Themen „interessant“ und konsumierbar zu machen. Damit aber werden Ereignisse aus ihren komplexen Bedingungszusammenhängen herausgelöst und letztlich in die tägliche mediale Unterhaltung eingereiht, deren Aufmerksamkeits- und Reizwerte kontinuierlich erneuert werden, damit sie wirksam bleiben. Wer glaubt, die Vermittlung der Fakten über den Nationalsozialismus interessant und „aktuell“ machen zu müssen, begibt sich schon auf den Weg der medialen Affirmation und des Konsumierens.

Aus diesem Grund wurde am NS-Dokumentationszentrum München, genauso wie am Erinnerungsort „Topographie des Terrors“, jede Form von Inszenierung abgelehnt. Ziel der Dokumentation in München ist es, die Geschichte des Nationalsozialismus einsichtig zu machen, nur dann kann aus ihr gelernt werden. Einsicht basiert auf Wissen und auf der Kenntnis der Gründe. Deshalb stellt das NS-Dokumentationszentrum München Fragen und liefert Fakten zur Beantwortung. Nur Wissen um die Gründe und die historischen Zusammenhänge kann jenes von Theodor W. Adorno eingeforderte „helle Bewusstsein“ vermitteln, das „die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen“ vermittelt und damit zu einem „Nie wieder“ führen kann. Lernen aus der Geschichte ist nur auf der Basis von Fakten möglich – und nicht durch emotionale oder inszenierte Übertragung von historischen Situationen auf gegenwärtige Probleme. Insbesondere dürfen die Opfer nicht auf eine pädagogische Funktion, beispielsweise als Lernobjekte für politisches Verhalten oder für eine Menschenrechtspädagogik, reduziert werden, sie würden sonst „nach ihrer Entwürdigung und physischen Vernichtung […] als Lernmaterial instrumentalisiert. Die Erinnerung geschieht um der Opfer selbst willen und nicht für irgendeinen anderen Zweck.“ (Hermann Düringer)

Beim obligaten Kunst-am-Bau-Wettbewerb zum NS-Dokumentationszentrum München verstanden es die Gewinner, Benjamin und Emanuel Heisenberg, mit dem Medienkunstwerk „Brienner 45“ sowohl auf die Geschichte des Ortes einzugehen, als auch die Erinnerungs- und Lernarbeit des Zentrums künstlerisch zu unterstützen. Die Medieninstallation präsentiert Texte aus der NS-Zeit, die über Bilddokumente visuell umgesetzt werden. Die historischen Fakten werden in die Bildwelt der Gegenwart transformiert, sie behalten ihre Gültigkeit und zielen auf eine „optische“ Erkenntnis. Dokumentation und Kunstwerk dienen somit beide auf ihre Weise der Aufklärung, um zu einem Lernen aus der Geschichte zu führen und die Funktion eines Erinnerungs- und Lernorts zur Geschichte des Nationalsozialismus zu erfüllen.

Prof. Dr. Winfried Nerdinger war von 1986 bis 2012 Extraordinarius für Architekturgeschichte und Direktor des Architekturmuseums der Technischen Universität München sowie Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München, das er bis 2018 leitete.