Von Wolfram Meyer zu Uptrup
Der Beitrag ist erschienen in: DIALOG Nr. 129, 03/2019, Dezember 2019
Gedenken ist moralisch geboten. Aber wir sollten wissen, wessen wir gedenken und warum. Und wir sollten mehr wissen, als nur über die schrecklichsten Jahre der gemeinsamen deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte
Berlin, 1. September 2019, vormittags am Askanischen Platz. Auf der Freifläche südlich der ruinösen Fassade des Anhalter Bahnhofes versammelten sich knapp zweihundert Menschen, um eine Gedenkfeier für die polnischen Opfer von Krieg und Besatzung 1939 bis 1945 abzuhalten. Wer nun von den Anwesenden durch die leeren Fenster der Bahnhofsfassade nach Nord-Osten blickte, konnte das ehemalige Deutschland-Haus erkennen, heute eine Baustelle, noch immer von Baugerüsten umgeben Hier werden rund 60 Millionen Euro für die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ausgegeben, damit diese dort ein Dokumentationszentrum betreiben kann. Die bisherigen Vorhaben in der kurzen Geschichte dieser Stiftung haben weniger für Versöhnung als für Zwietracht gesorgt. Die letzte Ausstellung wurde sogar eingestampft, weil sie das Thema grob verfehlt hatte. Die Bundesstiftung wurde gegründet, obwohl nach dem Bundesvertriebenengesetz bereits neun Einrichtungen und vier Institute in Deutschland finanziert werden.
An diesem 1. September gedachten Deutsche gemeinsam mit Polen des Kriegsbeginns und der polnischen Opfer von Krieg und Besatzung. Ob allen Teilnehmern bewusst war, dass an diesem Tag ein recht widersprüchliches Bild deutscher Vergangenheitspolitik geboten wurde, hier die kleine Gedenkveranstaltung für die polnischen Opfer – gegenüber das millionenschwere Vertriebenen-Projekt?
Das Gedenken an die Opfer Polens zu Zeiten von Krieg und Besatzung ist moralisch und politisch geboten. Wir zeigen dadurch, mit welchen moralischen und politischen Maßstäben wir Geschichte bewerten und Gegenwart gestalten wollen. So begrüßenswert es ist, dass in Berlin Nachfahren der Täter gemeinsam mit den Nachfahren der Opfer der Opfer der Untaten ihrer Vorfahren gedachten, so sollte man sich doch vorab über ein paar Fragen Rechenschaft abgelegt haben. Dazu zählt nicht nur, wessen hier konkret gedacht werden solle. Möglicherweise muss man sich mit dem Erschrecken über die Untaten der Deutschen und ihrer Helfer und der Trauer über die Opfer auch auf einer abstrakteren, moralischen Ebene bewegen.
Eindeutiger wird das Gedenken dann, wenn die Nachfahren der Überfallenen und Opfer zum Gedenken einladen. So war der Bundesaußenminister zum Gedenktag für den Warschauer Aufstand am 1. August 2019 nach Polen eingeladen worden, der Bundespräsident und die Kanzlerin zum Gedenken an den Kriegsbeginn einen Monat später. Endlich wurde in Deutschland auch das Gedenken an den ersten Terrorangriff im Zweiten Weltkrieg, auf die Zivilbevölkerung der Kleinstadt Wieluń, wahrgenommen.
Das waren Gedenkfeiern, die Polen abhielt, und es ist eine zweifellos noble Geste, dass sie die Nachkommen der damaligen Aggressoren einluden. Sie wussten, dass die Deutschen heute die Zeit von Krieg und Besatzung genauso beurteilen und verurteilen, wie die Polen und anderen Europäer auch. Einigkeit in dem Blick auf die Geschichte und in der Bewertung der Ereignisse und Verbrechen war die Voraussetzung für die an die deutsche Seite ausgesprochenen Einladungen. Bezeichnend: Da es diese Einigkeit mit Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion, die Polen am 17. September 1939 ebenfalls überfiel, nicht gibt, war auch Russland im Jahr 2019 nicht mit vertreten in Warschau, Danzig oder Wieluń.
Wenn nun schon seit einigen Jahren immer wieder ein Denkmal oder ein Gedenkort in der deutschen Hauptstadt Berlin für die polnischen Opfer des Krieges und der Besatzung gefordert wird, so sollten wir uns zunächst darüber Klarheit verschaffen, in welchem politischen Konzept die Errichtung eines Denkmals geschehen könnte und welche Ziele wir mit diesem Projekt in dem übergreifenden politischen Prozess einer Politik der Verständigung verfolgen könnten oder wollen. Aus meiner Sicht ordnet sich dieses Projekt in einen gesellschaftlichen und politischen Prozess ein, den man „Versöhnungspolitik“ nennen könnte. Diese besteht aus drei Phasen, die an die biblischen Motive von Buße und Umkehr anknüpfen.
Die erste Phase ist das vorbehaltlose Anerkennen dessen, was geschah. In unserem Zusammenhang bedeutet das, gemeinsam die Geschichte zu betrachten und zu bewerten. Wenn die Bewertungen zu weit auseinanderliegen, ist es schwer bis unmöglich, die nächsten Schritte zu gehen.
Im Hinblick auf den Verständigungsprozess zwischen Deutschland und Polen sind wir doch recht weit vorangekommen. Die historische Wissenschaft beider Länder beschreibt die Ereignisse von Krieg und Okkupation einhellig, auf Foren wie der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission wurden Kontroversen in vielen Detailfragen abgebaut, das deutsch-polnische Schulbuchprojekt „Europa. Nasza Historia“/ „Europa. Unsere Geschichte“ ist ein deutliches Zeichen, wie erfreulich weit wir in der Verständigung über die Vergangenheit vorangekommen sind. Politische Kooperation gibt es beispielsweise im Rahmen der Deutsch-Polnischen Regierungskommission und der Oderpartnerschaft. Die Verständigung über das, was geschah, wird abgeschlossen von einem Schuldeingeständnis, und dieses eröffnet den weiteren Weg
In der zweiten Phase kann man Gemeinsames für die Gegenwart und Zukunft finden und vereinbaren, das zusammen anzustreben. Im Hinblick auf das deutsch-polnische Verhältnis ist viel geschehen, der Nachbarschaftsvertrag von 1990, die Gründung des Jugendwerkes, das Engagement für den Beitritt zu NATO und Europäischer Union. Abgesehen von einer stetigen Weiterentwicklung im Bereich der Wirtschaft, was auch die Arbeitsmigration einschließt.
Die dritte Phase als letzten Schritt kann man nicht einseitig planen und auch nicht alleine beginnen. Was hier geschieht, geschehen kann, ist als Geschenk zu verstehen, und es ist nicht möglich, es einzufordern oder einzuklagen: Versöhnung stellt sich ein, wenn das Vertrauen und die Gemeinsamkeiten gewachsen sind.
Die Phasen sind idealtypisch zu verstehen, in der gesellschaftlichen und politischen Realität werden immer wieder Elemente aus jeder Phase in gegenwärtigen Situationen sichtbar und wirksam sein. Vielleicht ist es sogar so, dass in der politischen Wirklichkeit die Phasen eins und zwei nicht enden und in der Gegenwart immer präsent sind. Dennoch ist die Abfolge von Anerkenntnis, Annäherung und Versöhnung nicht umzukehren.
Wenn wir den Prozess der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich zum Vergleich heranziehen, dann steht fest: Schon der erste Schritt ist noch nicht abgeschlossen, denn immer wieder kommen historische Themen auf, über die wir uns mit den Nachbarn neu und detailliert verständigen müssen, zudem muss jede Generation den Annäherungsprozess erneut aufnehmen und nachvollziehen. Dennoch war es möglich, eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten zu finden und gemeinsam politische Prozesse voranzubringen. Frankreich ist über Jahrzehnte in die deutsche Alltagskultur eingetreten, über breit angelegtes Sprachenlernen im Westen Deutschlands, über Kultur, Literatur, Theater, Filme und über Philosophie. Politisch ist die Zusammenarbeit seit den Zeiten von Robert Schuman und Konrad Adenauer, die als Personen für das Programm der deutsch-französischen Aussöhnung standen, weit vorangeschritten.
Im Hinblick auf Polen war eine Annäherung bis 1989 durch den Eisernen Vorhang stark behindert. Bis heute bestehen in Deutschland bei der Akzeptanz von polnischer Sprache, Kultur und Lebensart Defizite im Vergleich zu Frankreich. Weder wird die polnische Sprache in einem nennenswerten Umfang gelernt, ihr hängt das Odium an, „schwierig“ zu sein, noch werden polnische Kultur, Lieder, Theater, Filme, Philosophie oder Literatur in einem großen Maße in Deutschland rezipiert. Nicht nur das: Der Prozess der Verständigung über die Geschichte wurde über Jahrzehnte immer wieder durch Vertriebenenverbände (bis in die jüngste Zeit) und kommunistische Propaganda (bis 1989) gestört und hintertrieben. Viele Initiativen aus dem Vertriebenenspektrum sind heute darauf ausgerichtet, zu dokumentieren und zu forschen wie die Stiftung Brandenburg, die in Frankfurt (Oder) ein Haus für die Geschichte des historischen Ostbrandenburg eröffnen möchte. Doch noch immer ist es möglich, den Verständigungsprozess zu stören. Das ist aus historiografischer Sicht auch leicht verständlich. Wenn man einen Guckkasten mit dem Namen „Vertreibung“ konstruiert und durch ihn auf komplexe geschichtliche Prozesse blickt, dann bleibt schnell alles rechts und links des Guckkastens unberücksichtigt. Anders gesagt: Vertreibungen sind immer Ereignisse in der Schlussphase längerer historischer Prozesse, die für die betroffenen Menschen mit viel Unbill und Leid verbunden sind. Sie sind aber historisch und moralisch nicht ohne die vorangegangene Interaktion zu sehen, die vielfach hasserfüllt und feindlich war. Deswegen ist es wenig ertragreich, Vertreibungen zu vergleichen, denn sie geschehen seit biblischen Zeiten immer in ähnlich schrecklicher Weise. Relevant und interessant vergleichbar sind die Prozesse, die letztlich zu Vertreibungen führen oder geführt haben. Und diese vergleichende Betrachtung historischer Prozesse kann vielleicht zur Verständigung führen. Der verkürzende Blick auf Vertreibung eo ipso lässt nur das eigene Leid einseitig gelten und verschließt sich der Prozesshaftigkeit und Multiperspektivität von Geschichte. Das Gesagte trifft vor allem auf die Situation der Vertriebenenverbände in der Bundesrepublik zu, im Falle der DDR stellte sich die Politik gegenüber den „Umsiedlern“ anders dar, um in Abgrenzung zur als Hort von Nazis denunzierten Bundesrepublik den eigenen antifaschistischen Gründungsmythos pflegen zu können.
Das von vielen Mitstreitern geforderte Projekt eines Denkmals oder Gedenkortes, das in die Entwicklung einer Versöhnungspolitik eingeordnet ist, könnte eine Verbindung zwischen der ersten und der dritten Phase darstellen. Doch was bedeutet in diesem Zusammenhang „Gedenken“? Wenn die Polen ihrer Opfer unter den Vorfahren gedenken, ist die Sache eindeutig. Schwieriger ist es, wenn die Nachfahren der Täten der Opfer ihrer Vorfahren gedenken wollen. Werden hier nicht die historischen und auch die politischen Rollen unscharf? Die Bundesrepublik – und sie wäre bei einem Denkmal das handelnde Subjekt – ist Rechtsnachfolger des Dritten Reiches, das all dieses Leid, die Zerstörung und die Opfer verursacht hat. Wir haben hier in Deutschland, in Berlin die Orte der Täter, das Reichskriegsministerium, das Gelände des Prinz-Albrecht-Palais und viele andere. Sie unterscheiden sich sehr von den Tatorten, an denen die Opfer zu beklagen sind, wie beispielsweise Wieluń, Warschau, Majdanek, Sobibór und viele andere. Wenn in Berlin ein Gedenkort für die polnischen Opfer eingerichtet wird, wer ist dann in dieser Sache Subjekt und wer ist Objekt? Was jedenfalls ausgeschlossen sein sollte, sich über das Gedenken an die Opfer irgendwie auf die andere Seite in der Geschichte zu schleichen.
Wenn Gedenken auch Teil einer nationalen Identitätspolitik ist, in der sich Deutsche von Polen unterscheiden, dann kann daraus dennoch ein verbindendes Moment werden, wie die Besuche deutscher Politiker bei den polnischen Gedenkveranstaltungen im Sommer 2019 zeigten. Ein Gedenken mag vielleicht in kulturell und national relativ homogenen Gesellschaften zu eindeutigen moralischen und politischen Aussagen führen. In multikulturellen Gesellschaften europäischer Länder löst sich jedoch – entgegen den Intentionen nationalistischer Politik – eine nationale Identität in Uneindeutigkeit auf. Für Einwanderer und binationale Familien ist die an eindeutig nationalen Identifikationen orientierte Gedenkpolitik offenbar nicht konzipiert. So stellt sich auch für ein Gedenkprojekt in Berlin die Frage, was es für die heute in der Stadt lebende multikulturelle Gesellschaft bedeuten könnte. Vielleicht ist das Gedenken im Rahmen nationaler Identitäten ja wirklich ein Generationenphänomen, das junge Europäer, Deutsche, Polen, Franzosen anders empfinden als die Generation, die in Zeiten des Kalten Krieges politisch sozialisiert wurden.
Die historischen Ereignisse in den Jahren nach dem Überfall auf Polen sind nach wie vor in Deutschland kaum oder wenig bekannt. Ein Gedenken setzt in jedem Falle voraus, dass hinreichend klar ist, wessen gedacht werden soll und in welchem historischen Kontext. Dazu ist es aber zunächst notwendig, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen, in dessen Verlauf sich eine Volonté générale bezüglich des Gedenkens an die polnischen Opfer herausbilden könnte.
Wenn wir den Diskussionsprozess vor dem Bau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas als Vergleich heranziehen, dann sehen wir, wie viele Diskussionsbeiträge in jenen Jahren es gab, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten – so lange, bis sich eine gesellschaftliche Mehrheit für den Bau des Denkmals aussprach. Ob sich das heute, angesichts des Rumorens in der rechtsextremen Ecke noch so erreichen ließe? Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas hatte also einen intensiven diskursiven Vorlauf, und es steht heute auch nicht allein da: Integriert ist ein „Ort der Information“, der basale Daten zum dem Denkmal zugrunde liegenden Jahrhundertverbrechen liefert.
Aus den geschilderten Gründen lautet die Schlussfolgerung: Ein Gedenkort für die polnischen Opfer von Krieg und Besatzung ist sinnvoll, aber nicht ausreichend. Wenn wir einen Gedenkort als ein Element im Prozess von Versöhnungspolitik verstehen, dann sollte er einen Punkt zum Ende verschiedener Maßnahmen und Diskurse darstellen, die gemeinsam erklären, um welche historischen Ereignisse es sich handelt. Diese historischen Ereignisse sind aber so komplex wie monströs, dass ein kurzer Widmungstext am Denkmalssockel nicht genügen kann.
Um den Prozess einer Politik der Verständigung mit Polen, die auf Versöhnung hofft, in Deutschland weiter fördern zu können, sollten wir über Instrumente und Möglichkeiten nachdenken. Und hier erscheint ein Ort in Berlin, an dem Information, Begegnung, Diskurs, Lernen und eben auch Gedenken möglich ist, ein vielversprechendes Projekt zu sein. Er sollte facettenreich sein wie ein Museum, das so besucherorientiert ist und moderne Mittel einzusetzen weiß wie das Estnische Nationalmuseum in Tartu, das wie das British Museum in London Ausstellungsstücke präsentiert und sie hervorragend in vielen Sprachen erklärt, und das die Lebenswirklichkeit von Polen und Deutschen reflektiert, wie es vielleicht nur in Berlin möglich ist. Und in dieser Stadt könnte das Museum auch eine über ein traditionelles Museum hinausgehende Funktion erfüllen, als Ort der Begegnung und der Diskussion, als eine Art Akademie, in der auch relevante Gegenwartsthemen gemeinsam durchdacht werden.
Natürlich soll ein Museum die Geschichten von musealen Exponaten erzählen und erklären und darüber geschichtliche Zusammenhänge deutlich machen. Insbesondere ist es wichtig, den Horizont zu weiten und die ganzen rund 1000 Jahre der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte in den Blick zu nehmen. Viele Stationen dieser Geschichte lassen sich erzählen. Einen thematischen Überblick bieten aktuell die fünf Bände „Deutsch-Polnische Erinnerungsorte“, die von Robert Traba und Hans Henning Hahn herausgegeben wurden.
Etwas paradox erscheint vor dem Hintergrund des verbreiteten Nichtwissens über Polen das Interesse an deutsch-polnischer Geschichte. Der Zuspruch zur Ausstellung „Tür an Tür. Polen – Deutschland“ 2011/2012 im Gropiusbau in Berlin zeigte es deutlich. Zuvor erfreute sich auch die Ausstellung „Deutsche und Polen. Abgründe und Hoffnungen“ im Jahr 2009 im Deutschen Historischen Museum in Berlin eines großen Zulaufs. Diese Ausstellung des DHM könnte durchaus als Nukleus einer Ausstellung im Museum für Deutsch-Polnische Geschichte(n) dienen, wie sich überhaupt eine Zusammenarbeit mit dem DHM für dieses Museum anbietet.
Das Museum für deutsch-polnische Geschichte(n) könnte in Berlins Mitte liegen, dort, wo auch Berlin-Besucher vorbeikommen, gerne auch am Askanischen Platz. Es könnte leicht mit einer ganzen Anzahl von geschichtsträchtigen Orten in dieser Stadt verbunden werden, die ja auch durch polnische Soldaten 1945 befreit wurde. Solche Orte in Berlin wären zum Beispiel:
– das Reichskriegsgericht in der Witzlebenstraße, wo viele polnische Bürger zum Tode verurteilt wurden;
– der Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit gegenüber dem Hauptbahnhof. In der Kirche des noch im Bau befindlichen Gefängnisses fand der sogenannte Polenprozess im Jahr 1847 statt. Im letzten Kriegsjahr diente das Zellengefängnis Moabit der SS und Gestapo als Gefängnis, in dem auch Widerstandskämpfer aus dem In- und Ausland inhaftiert waren;
– das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, beide betreffen auch Polen;
– das „Denkmal des polnischen Soldaten und des deutschen Antifaschisten“ in Friedrichshain ist selbst ein historisches Artefakt, interpretationsbedürftig, da es eine ideologiegeleitete Geschichtsdarstellung präsentiert;
– an der Heerstraße liegt der Britische Soldatenfriedhof, auf dem auch polnische Piloten begraben sind;
– die Gedenkstätte Plötzensee in der ehemaligen Hinrichtungsstätte, in der Menschen aus allen Teilen des deutsch besetzten Europas starben, darunter über 250 Polen;
– das Denkmal für die Soldaten der 1. Polnischen Armee, Division „Tadeusz Kościuszko“ in Hohen Neuendorf liegt in Brandenburg, ebenso wie die Denkmäler für polnische Opfer im Konzentrationslager Sachsenhausen (u. a. General Stefan Paweł Rowecki „Grot“, inhaftierte und ermordete Priester und inhaftierte polnische Professoren der Jagiellonen-Universität Krakau).
Vielleicht wird das Museum für deutsch-polnische Geschichte(n) diese Orte in und um Berlin auch mittels eines Programms für Mobilgeräte (Applikation) verbinden, damit Besucher die deutsch-polnischen Aspekte dieser Orte entdecken können.
Warum also ist ein Denkmal für die polnischen Opfer von Krieg und Besatzung nicht ausreichend? Weil zunächst die mit dem Denkmal verbundene Geschichte zu wenig im Bewusstsein der Deutschen präsent ist. Weil die Nachfahren der Täter auch heute noch in einer anderen Rolle sind als die Nachfahren der Opfer. Weil es politisch und moralisch für die Täternachfahren nur ehrlich möglich ist, das Erschrecken über die Untaten der Vorfahren zu äußern. Weil es geboten ist, sich an die Seite der Opfer zu stellen, aber nicht, sich auf ihre Seite zu stellen. Weil eine Kategorisierung der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen nach heutigen nationalen Kriterien systematisch nicht überzeugend ist und ob der Schwierigkeiten auch kaum zu einem die Deutschen und ihre Europäischen Nachbarn verbindenden Gedenken führen kann. Weil es bezogen auf die deutsch-polnische Verständigung zu wenig ist, vielmehr sollten auch die weiteren 1000 Jahre der Beziehungsgeschichte thematisiert werden.
Die Deutsch-Polnischen Gesellschaften, von denen viele sich seit rund fünf Jahrzehnten für die Verständigung engagieren, haben dazu beigetragen, dass ihre Hoffnungen und Ziele für die Gestaltung der Nachbarschaft zu einem bedeutenden Teil erreicht wurden. Sie haben ein gesellschaftliches Klima in Deutschland mitgestaltet, das zu einer Unterstützung des Nachbarlandes und (zeitweise) enger Kooperation mit Polen führte. Es gilt nun, das Errungene nicht zu riskieren, sondern auszubauen, den Verständigungsprozess auch weiterhin zu gestalten und zu entwickeln. Auf dem zivilgesellschaftlichen Feld gibt es sicher noch einige Möglichkeiten, doch sollten wir auch über neue Strukturen und Orte der Begegnung mit Menschen, Geschichte und Kultur für die Nachbarn nachdenken. Hier könnte das Projekt eines Museums für deutsch-polnische Geschichte(n) in Berlin ein Forum bieten, auf dem wir gemeinsam mit unseren polnischen Nachbarn die Verständigung und das gegenseitige Verstehen voranbringen können und sollen.
Wolfram Meyer zu Uptrup , Historiker und Theologe, leitete von 2006–2012 das Deutsch-Polnische Geschichtsbuch-Projekt und arbeitete in der Deutsch-Polnischen Regierungskommission mit; er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Berlin und Mitglied im Vorstand im Bundesverband der Deutsch-Polnischen Gesellschaften.